Cadillac Eldorado „Pink Cadillac“
Einmal im Jahr wimmelt es für zwei Wochen in Dallas/Texas vor pinkfarbenen Cadillacs. Sie erinnern freilich weniger an den Ohrwurm, den einst Elvis Presley, Bruce Springsteen oder Natalie Cole zum Besten brachten, noch an die gleichnamige Komödie mit Clint Eastwood, die 1960 mit äußerst mäßigem Erfolg in deutschen Kinos zu sehen war. Es ist vielmehr der alljährliche Motivationskongress der Kosmetikmarke Mary Kay Inc., mit dem das Unternehmen seine besten Verkäuferinnen auf Vordermann bringt. Sie genießen als einzige das Privileg, den Luxusschlitten in der gewöhnungsbedürftigen Farbe zu fahren. Und das kam so:
Zeitlebens war Rosa ihre Lieblingsfarbe: Rosa die meisten ihrer Roben, rosa die Schuhe, stets ein Hauch von Rosa im Makeup. Mary Kay Ash, als Mary Kathlyn Wagner 1918 in Texas geboren und später ab Mitte der 1960er Jahre bis zu ihrem Tod im November 2001 eine der erfolgreichsten Geschäftsfrauen der Vereinigten Staaten mit Umsätzen in dreifacher Milliardenhöhe, liebte die Farbe Pink über alles und machte sie zum Erkennungsmerkmal ihres Konzerns. Aber Wert auf Äußeres wie perfektes Aussehen, raffinierte Kosmetik oder anspruchsvolle Mode zu legen, machte nur die kommerzielle Seite ihres Charakters aus. Weit mehr noch lag ihr die Emanzipation der Frauen und die Gleichberechtigung ihrer Geschlechtsgenossinnen am Herzen.
Sie war erst 17 Jahre alt, als sie heiratete und kurz hintereinander drei Söhne bekam. Während des Zweiten Weltkriegs, den ihr Mann, von dem sie sich nach Kriegsende scheiden ließ, bei der Armee verbrachte, musste sie ihre Kinder mühsam über Wasser halten. Zuerst, indem sie als Vertreterin für Bücher Klinken putzte, später als Angestellte des Haushaltswarenkonzerns Stanley Home Products. Als sie dort bei einer anstehenden Beförderung übergangen wurde und statt ihr ein Mann, den sie selbst ausgebildet hatte, den Job bekam, schmiss sie voller Zorn die Brocken hin.
Mit 5000 Dollar, die sie sich von ihrem ältesten Sohn, Ben Rogers, geborgt hatte, gründete sie im Herbst 1963 das Kosmetikunternehmen Mary Kay mit Sitz in Dallas. Als Geschäftsprinzip galt der Direktverkauf durch Vertreterinnen, die ähnlich wie bei der Konkurrenz Avon oder der Plastikdosenfirma Tupperware auf Parties bei sich zu Hause oder bei potenziellen Kundinnen ihre Waren an die Frau brachten. Zu den schriftlich festgehaltenen Leitlinien des Konzerns gehörte, dass sich Frauen von der Pieke auf bis in die höchsten Ämter hocharbeiten konnten, nur die Leistung zählte.
So wie der Knochen für den Hund sind Lockmittel in Form von Sach- oder Geldprämien für Mitarbeiter an der Verkaufsfront schon lange als Motivation Gang und gäbe. Auch Mary Kay Ash plante bereits 1967 mit luxuriösen Autos ihre besten Pferde im Stall zu loben. Zunächst sollten sie mit Lincolns von Ford belohnt werden. Warum es anders kam, verriet erst kürzlich Crayton Webb, Pressechef von Mary Kay Inc.
Danach erschien Mary Kay Ash damals eines Tages bei einem Ford-Händler in Dallas, um einen Lincoln für sich selbst als eine Art Belohnung für ihre ersten Erfolge zu leasen. Doch als sie im Showroom ihr Anliegen vorbrachte und zum Verdruss des Verkäufers ihren Farbwunsch Pink gemäß der Corporate-Farbe ihres Unternehmens erwähnte, machte der Ford-Händler den Fehler seines Lebens. Statt auf den Wunsch von Mary einzugehen, riet er ihr nach Macho-Art: „Junge Frau, jetzt gehen Sie erst mal nach Hause und holen Ihren Mann. Und dann sehen wir weiter.“
Ein Cadillac-Händler in Fort Worth /Texas verhielt sich geschickter. Er nahm glücklich die Bestellung für eine 1968er Cadillac de Ville Limousine entgegen und sorgte sogar dafür, dass der Wagen in exakt jener Farbe lackiert wurde, die bereits 1954 Elvis Presley für seinen Cadillac Fleetwood geordert hatte. Unmittelbar nachdem das Fahrzeug ausgeliefert worden war, nahmen sich einige Verkaufsdirektorinnen bei Mary Kay Inc. Ihre Chefin als Vorbild und bestellten das gleiche Auto.
Da muss es bei Mary Kay Ash offensichtlich „klick“ gemacht haben. Solche Autos könnten doch auch als rollende Reklametafeln für ihr Unternehmen herhalten. 1969 bestellte sie die ersten sechs Pink-Cadillacs für ihre besten Verkäuferinnen, viele weitere folgten. Wer in einem halben Jahr Mary Kay-Kosmetik für etwas mehr als 100 000 Dollar an die Frau gebracht hat, erhält seither das Recht, zwei Jahre lang einen Cadillac in Pink zu fahren. Wer darauf verzichten möchte, bekommt statt dessen jeden Monat 900 Dollar cash auf die Hand, doch dafür entscheiden sich nur acht Prozent der verdienten Spitzenkräfte.
Inzwischen mischt General Motors sogar exklusiv für die Mary Key-Cadillacs ein ganz spezielles Perlmutt-Pink zusammen. Bis jetzt haben in den USA 22 000 freiberufliche Schönheitsberaterinnen von diesem Recht Gebrauch gemacht, zur Zeit rollen rund 1300 pinkfarbene Cadillacs zwischen New York und Los Angeles über High- und Byways, einen davon fährt sogar ein Mann. 2014 haben sich 477 Spitzenverkäufer für einen Cadillac qualifiziert, wobei sie sogar zwischen einer Limousine und einem SUV wählen durften. Und wer es mit den 100 000 Dollar nicht ganz schafft, geht auch nicht leer aus. Ab 75 000 Dollar gibt es einen BMW 320i, nicht in Pink, sondern in Schwarz.
Längst hat das Mary Kay-Incentivprogramm die Grenzen der USA überwunden. 11 000 Damen in 22 Ländern haben sich in diesem Jahr qualifiziert. Und wo es keinen Luxus-Cadillac zu kaufen gibt, sind die Prämien auch nicht ohne: In China, Russland und einigen europäischen Staaten gibt es einen Mercedes, in Spanien einen Mini Cooper und in Brasilien einen Chevrolet Captiva. Meist in Pink. (ampnet/hrr)